Material
Gerne verweisen wir hier auf einige empfehlenswerte Materialien zur Auseinandersetzung mit Themen rund um das Jenische. Für intensivere Auseinandersetzung empfehlen wir den Besuch des gerade im Aufbau begriffenen (digitalen) Jenischen Archives.
Journalist:innen, Forschende und Kulturschaffende möchten wir im Rahmen ihrer Arbeit insbesondere auf die Fairness-Richtlinien der Radgenossenschaft der Landstraße hinweisen: „Wenn Forschende und Kulturschaffende über ethnische Minderheiten arbeiten, wie etwa Jenische, Sinti:zze und auch Rom:nja, sind sie aufgefordert, folgende Fairnessregeln zu beachten. Die Grundregel ist: Arbeiten „über“ Minderheiten sollen immer auch Arbeiten „mit“ den Minderheiten sein. Unter diesen Bedingungen werden Minderheitenvertretungen ihrerseits versuchen, Forschungen und Kulturprojekte zu ermöglichen und zu erleichtern.“
Jenische Reminiszenzen. Geschichte(n), Gedichte
Romedius Mungenast, Sieglinde Glatz, Oswald Perktold und Ludwig Steub
Ein Lesebuch von Jenischen und über Jenische
Geschichten, Essays, Gedichte, Märchen: Sieglinde Glatz, Oswald Perktold, Ludwig Steub, Raimund Jäger, Romedius Mungenast, Klaus Angerer, Albert Minder, Günter Danzer, Carl v. Lutterotti, Mariella Mehr, Graziella Wenger, Toni S. Pescosta, Peter Vonstadl, Gertraud Sauter, Thomas Huonker, Josef Fischer, Franz Jansky, Siegfried Kluibenschedl, G. K. Nitsche, Wolfgang Dietrich, Roman Spiss.
Bilder: Matthias Schmid, Albert Stolz, Theo v. Hörmann, Herbert Danler, Johann Linser, René Minder, Sepp Schwarz, Simone Köfler und Martin Schauer
re:mondo
Simone Schönett
2008. Ein fiktiver Ort im Süden Österreichs. Ein junges Paar, Stephan und Sara, sieht sich mit den Lebensgeschichten zweier Menschen konfrontiert, die nicht viel verbindet, außer ihrem Geburtsjahr 1919.
Da ist Raymond Bovy, weit herumgekommener Sohn einer holländischen Fabrikantenfamilie, den Stephan bei seiner Arbeit als Krankenpfleger kennenlernt. Und da ist Anna Nobbel, Tochter altösterreichischer Fahrender und Saras Großmutter, bei der die junge Frau in einer schwierigen Situation Rat sucht.
Die Auseinandersetzung mit Annas und Raymonds Geschichten im 20. Jahrhundert, mit Themen wie Flucht und Vertreibung, Kindeswegnahme und Zwangssterilisation, werden für Stephan und Sara zu einem Ventil, um von ihrer eigenen Realität abzulenken …
Wird darum alles, was war, wieder sein?
Zigeunerhäuptling. Vom Kind der Landstrasse zum Sprecher der Fahrenden - Das Schicksal des Robert Huber
Willi Wottreng
Der heute 76-jährige Robert Huber wuchs als Verdingkind auf und landete in einer Strafanstalt unter Kriminellen. Er war ein Opfer der „Aktion Kinder der Landstrasse“, wie eines der dunkelsten Kapitel
der jüngeren Schweizer Geschichte bezeichnet wird. Von 1926 bis 1972 entriss die Stiftung Pro Juventute Hunderte Kinder ihren Eltern, um sie der Kultur der Fahrenden zu entfremden.
Robert Huber ging daran nicht zugrunde. Im Gegenteil: Er fand schrittweise den Weg zurück zu seinen Wurzeln. Er lehnte sich gegen die Unterdrückung der Kultur der Fahrenden auf und setzte sich als Präsident der „Radgenossenschaft der Landstrasse“ für ihre Rechte ein. Unter seinem Vorsitz fanden wichtige Ereignisse statt wie die Entschuldigung des Bundesrats für die Zwangsbevormundungen und die Anerkennung der Fahrenden als nationale Minderheit. Seine Lebensgeschichte steht stellvertretend für die Geschichte der Jenischen und ihres erwachenden Selbstbewusstseins in der Schweiz. Es ist eine Erfolgsgeschichte.
Zigeuner
Isabel Huser
»Es gibt das Bild der Schweiz vor und ein neues nach der Lektüre dieses Romans.«
Sie sind Einheimische, im Übrigen hellhäutig und blauäugig. Eine Schweizer Musikantenfamilie, Jenische. Wo auch immer sie auftreten, sind der 13-Jährige an der Klarinette und die Mutter am Kontrabass die Stars des Abends. Sie spielen Volksmusik, leben im Häuschen am Ort über dem Zürichsee, wo die Kinder zur Schule gehen. Bis sie fliehen müssen: Die Mutter kommt angerannt mit fliegendem Haar, schickt ihre Kinder auf die Flucht, allein. Sie und der Vater werden die Beamten aufhalten an diesem Frühlingsabend 1929.
Die Kinder flohen allein in die Nacht. Sie retteten sich vor dem Zugriff der Verfolger, die Hunderte jenischer Kinder aus ihren Familien rissen. So geschehen in der Schweiz, wo die Kindswegnahmen bis im Frühling 1972 andauerten – bis die Tochter eines der fliehenden Kinder von 1929, mittlerweile selbst 13 Jahre alt, aus der Zeitung erfuhr, dass die Erzählung ihres Vaters von der Flucht der Kinder keine Räubergeschichte war.
Isabella Huser hat Schicksale ihrer jenischen Vaterfamilie recherchiert und ist dabei auf Materialien gestoßen, die bis zur Entstehung der modernen Schweiz im 19. Jahrhundert zurückreichen. »Zigeuner« ist ein fulminantes zeitgeschichtliches Tableau, gefüllt mit prallem Leben und nacktem Entsetzen.
die älteste
Thomas Sautner
Die Diagnose ist ebenso schonungslos wie eindeutig: Hirntumor. Unheilbar. Als letzten Ausweg in der Not sieht Sophie die Fahrt in die Abgeschiedenheit des Waldviertels, wo eine alte Heilerin wohnt, die angeblich in den hoffnungslosesten Fällen helfen kann.
Die Spielregeln sind einfach: Mit einer Dose Tabak, einer Flasche Schnaps und Kaffee besucht man die Einsiedlerin mit dem alten Wissen der Jenischen und folgt von nun an ihren irritierenden Anweisungen. Zunächst skeptisch, lässt Sophie sich auf die ruppige Alte ein, in deren Welt kein Platz ist für den Stress des Alltags und die Übermacht der Vernunft, die einem Leben im Einklang mit sich selbst mitunter im Wege steht. Sie lässt sich ein auf das Unbekannte, das Unbegreifbare – auf das nur Spürbare.
Romantrilogie: Das Kind. Brandzauber. Angeklagt.
Mariella Mehr
Einzigartig in ihrer Radikalität.
Die drei Romane «Daskind», «Brandzauber» und «Angeklagt» bilden gemeinsam eine Trilogie, die in ihrer Radikalität in der Schweizer Literatur einzigartig ist. Erstmals erschienen zwischen 1995 und 2002, verhandeln sie die existenzielle Dimension der Gewalt.
Neben Mariella Mehrs reichem lyrischem Werk ist die «Gewalt-Trilogie» ihr Hauptwerk. Während in «Daskind» die Thematik der Gewalt durch das Brechen einer Identität aufgegriffen wird und die Gewalt im sozialen Rahmen der Dorfgemeinschaft stattfindet, widmet sich «Brandzauber» dem paralysierten Leben einer bereits zerbrochenen Identität, es geht um die in der Geschichte gespeicherte und weitergegebene Gewalt. Der letzte Band «Angeklagt» zeugt von einer beängstigenden Neuformierung von Identitätsbruchstücken, die nackte Gewalt, der Trieb sind die zentralen Motive des Romans.
Mariella Mehrs Erzählkunst ist von einer archaischen Kraft, die auch in der Sprache spürbar wird. Dabei haben ihre Werke nichts von ihrer Aktualität eingebüsst: Im Kontext der laufenden Aufarbeitung der Geschichte der Fremdplatzierungen und Zwangsmassnahmen in der Schweiz sind sie hochaktuell. Brisant ist aber auch das Thema der Gewalt gegen «Andersartige» und der problematische Umgang mit Aussenseitern.
Widerworte. Geschichten, Gedichten, Reden, Reportagen
Mariella Mehr. Herausgegeben von Christa Baumberger und Nina Debrunner
«Ich tauge nicht fürs moderate Schreiben.» Mariella Mehr
So streitbar, angriffig und zugleich sprachsensibel ist kaum eine andere Schweizer Autorin. Als Journalistin beteiligte sich Mariella Mehr massgeblich an der Aufarbeitung der Pro-Juventute-Aktion «Kinder der Landstrasse», als Jenische kämpfte sie für die Anliegen der Fahrenden und als Reporterin und Schriftstellerin beleuchtete sie vor allem die Ränder der Gesellschaft. Ihre Texte beschäftigen sich mit Gewalt in all ihren Ausprägungen. Sie zeugen von einer ganz eigenen Sprachkraft. Anlässlich ihres 70. Geburtstages bietet der Band erstmals einen Überblick über Mariella Mehrs literarisches und journalistisches Schaffen.
Das von Christa Baumberger und Nina Debrunner herausgegebene Buch versammelt zum Teil unveröffentlichte Kurzprosa, publizistische Texte und Gedichte von Mariella Mehr sowie Essays ausgewählter Autorinnen, Literaturwissenschaftlerinnen und Kritiker. Die Autorin wird in all ihren Facetten sichtbar: als streitbare Publizistin ebenso wie als sensible Literatin mit einem feinen Gespür für sprachliche Zwischentöne.
Andere Akkorde
Simone Schönet
Was wäre, wenn?
Diese Frage treibt Simone Schönetts neuen Roman voran, in dem es um Europa und seine größte ethnische Minderheit, die Roma, geht. Zwölf Millionen sind sie.
Was wäre also, wenn sie an einem Strang zögen und sich zusammentäten? Die Einen, um aus der Perspektivlosigkeit am Rande der Gesellschaften herauszufinden. Die Anderen, um sich endlich aus der Unsichtbarkeit der vollkommenen Integration zu wagen und den Gadsche zu zeigen: Auch wenn wir verstreut und ganz unterschiedlich leben, wir gehören zusammen und wir gehören zu Europa. Was wäre, wenn sie einen Roma-Staat ausriefen, einen Staat ohne Territorium?
Ein Roman voller realer, fiktiver und utopischer Elemente, der in und mit der Gegenwart spielt – und mit einer bodenlosen Idee.
fröhlich verwildern. Geschichten und Gedichte
Mariella Mehr. Illustriert von Isabel Peterhans
«Dort, wo man Geschichten erzählt, dort ist Heimat.»
Das sagt nicht nur eine von Mariella Mehrs Figuren, so empfindet wohl auch die preisgekrönte Autorin selbst. Mariella Mehr, als Angehörige der Jenischen in früher Kindheit von der Heimat entwurzelt, schreibt von Aussenseitern und Minderheiten, von den Rändern der Gesellschaft, von Kindern, die wie sie in Heimen aufgewachsen sind. Doch sie lassen sich nicht unterkriegen, sondern trotzen dem Leben sogar Einiges an Fröhlichkeit ab.
Mariella Mehrs literarischen Texte und Gedichte sind manchmal hart und kraftvoll, manchmal aber auch heiter und voller Zärtlichkeit und Wärme. Passend dazu hat Isabel Peterhans die Publikation in starken Farbtönen und mit klaren Formen illustriert. Nachwort von Christa Baumberger.
Jenische Reise. Eine große Erzählung
Willi Wottreng
Willi Wottreng malt in prachtvollen Episoden die Reise der bald tausendjährigen Anna von Lothringen nach Ungarn, über Antwerpen bis nach Thessaloniki und tief in die Schweizer Alpentäler hinein. Eine Reise durch die Jahrhunderte.
Anna ist eine Jenische. Im Volksmund und bei den Sesshaften despektierlich Fahrende, Zigeuner oder gar Vaganten geheissen. Jenische Reise oszilliert im Zwielicht zwischen Phantasie und Wirklichkeit, ist ein flirrender, aus tausend Fäden gewobener Bildteppich zur legendensprühenden Kultur jener Menschen, die heute in Europa eine grenzüberschreitende Volksgruppe bilden: Die Jenischen.
Willi Wottreng erzählt die jahrhundertealte Geschichte dieser wenig bekannten Minderheit, wie sie so noch nie erzählt wurde. Eine Hommage an die Menschen der Strasse, die nie Eigentum hatten, in Armut lebten. Armut ist der Boden, auf dem Europa sich herausbildete. So leistet Wottreng noch viel mehr. Jenische Reise ist eine europäische Geschichte: Europas Geschichte von unten.
Fahrendes Volk - verfolgt und verfemt. Jenische Lebensläufe
Dokumentiert von Thomas Huonker
Herausgegeben von der Radgenossenschaft der Landstrasse
Dieses Buch dokumentiert Geschichte und gegenwärtige Lage des Fahrenden Volkes in der Schweiz nicht nur anhand von Archivstudien, alten Akten und Fotografien. Es lässt die Schweizer Fahrenden in elf ausführlichen Gesprächsprotokollen selber zu Wort kommen.
Gaismair-Jahrbuch 2021: Ohne Maske
Herausgegeben von Elisabeth Hussl, Martin Haselwanter und Horst Schreiber
Ein zentrales Thema des Gaismair-Jahrbuchs 2021 ist das Corona-Virus: die Reaktion der Tiroler Politik und die Folgen für Frauen, Asylsuchende und Armutsgefährdete. Ein Schwerpunkt beschäftigt sich mit der Anerkennung der Jenischen aus verschiedenen Perspektiven, in Österreich und auf europäischer Ebene, ein anderer mit dem Mentoring für MigrantInnen zur Jobsuche und der Ehrung der Schriftstellerin Rosmarie Thüminger.
Das Kapitel zum Nationalsozialismus ruft das vergessene Durchgangslager Wörgl, den Widerstandskämpfer Hans Vogl und die Familie Grünmandl in Erinnerung. Ein Beitrag analysiert die missglückte Neugestaltung des Kriegerdenkmals der Universität Innsbruck.
Ein regionalhistorischer Schwerpunkt zu sozialen Bewegungen umfasst ein Interview mit Volker Schönwiese, einem zentralen Protagonisten der österreichischen Behindertenbewegung, und thematisiert die Rolle von Migration bei der Bewertung von Protesten sowie die Bedeutung transnationaler Netzwerke für regionale Frauenbewegungen.
Im Feld der visuellen Kunst werden zwei künstlerische Eingriffe in den städtischen Raum vorgestellt: das feministische Projekt SOLANGE sowie das Geflüchteten- und Mobilitätsprojekt Die MobilitäterInnen. Den Literaturteil bestreitet Christoph W. Bauer.
Fahrend? Um die Ötztaler Alpen. Aspekte Jenischer Geschichte in Tirol
Herausgegeben von Michael Haupt, Edith Hessenberger
Realität abseits romantischer Erinnerungen – Geschichte, Identität und Gegenwart der Jenischen in Tirol
Die Geschichte der Jenischen ist eine scheinbar spurlose, geprägt von wirtschaftlicher Not, Krieg und Vertreibung. Es ist eine Geschichte der Anderen, der Fremden, im besten Fall gespickt mit romantischen Erinnerungen an Pfannenflicker und Scherenschleifer, an Händlerinnen und Bettlerinnen. Jedenfalls ist die Geschichte der Jenischen in Vergessenheit geraten.
Grund genug, sie im Rahmen des von der Europaregion Tirol-Trentino 2021 ausgerufenen Museumsjahres zum Thema „Transport –Transit – Mobilität“ in den Fokus zu nehmen. Im vorliegenden Sammelband werden in zehn Beiträgen wichtige Aspekte rund um jenische Geschichte und Gegenwart in Tirol herausgearbeitet. Die unterschiedlichen Herangehensweisen und Fragestellungen sowie verschiedene sprachliche Zugänge machen die Komplexität des Themas deutlich, in dessen Kern jedoch steht: Jenische waren und sind ein wichtiger Teil der Tiroler Geschichte und Identität.
jung und jenisch
Dokumentarfilm von Martina Rieder und Karoline Arn. 50 Min. und 73 Min. 2010
Pascal, Miranda, Jeremy und Franziska sind richtige Zigeuner. Sie sind zwischen 17 und 25 Jahre alt, lieben starke und grosse Autos und haben sich entschieden, für immer auf Achse zu sein. So wie viele andere junge Jenische. Sie brauchen ihre Freiheit und kämpfen darum. Sie zeigen eine Welt, die Sesshaften sonst verschlossen bleibt. Ein anderes und doch sehr schweizerisches Leben. Zigeuner heute – entzaubert, lebensnah.
Unerhört Jenisch. Das Geheimnis des besonderen Sounds
Dokumentarfilm von Martina Rieder und Karoline Arn. 93 Min. 2017
Er spielt mit dem Bild des Zigeuners. Er ahnt seine jenischen Wurzeln: Stephan Eicher. Die Spur führt in die Bündner Berge, zu den einst zugewanderten Familien und ihrer legendären Tanzmusik.
In diesen jenischen Familien lebt eine unbekannte Musiktradition; sie prägt die Schweizer Volksmusik, sucht den Blues, brilliert als Chanson oder rebelliert im Punk. Unerhört jenisch erzählt aber auch eine Geschichte der Diskriminierung und Verfolgung, welche die Musikanten schweigen liess. Ein Film über das Geheimnis des besonderen Sounds.